Burkhard Hirsch: Kritische Anmerkungen zur so genannten Vorratsdatenspeicherung

Befürworter dieser unsäglichen, anlasslosen Bespitzelung des Bürgers benutzen z.T. Argumente, die 20 Jahre hinter der aktuellen Diskussion zurückliegen. Dabei ist durchaus verständlich, dass staatliche Sicherheitsbehörden jedes denkbare Mittel anwenden möchten, mit dem sie eine Gefahr abwehren oder eine Straftat aufklären können.

Aber Sicherheit ist kein Selbstzweck, sondern soll der Erhaltung der Freiheit dienen. Darum darf um der Sicherheit willen nicht gerade das abgeschafft werden, was die Freiheit ausmacht. In dieser Grenzziehung liegt das eigentliche Problem. Dabei kommt man nicht weiter, wenn man längst überholte Argumente wiederholt.

 

1.

Die Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung (VDS) weisen darauf hin, dass nicht die Gesprächsinhalte, sondern "nur" die TK-Daten gespeichert werden. Es ist längst unstreitig, dass man schon mit der maschinellen Auswertung der Telekommunikationsdaten erschöpfende Einblicke in das gesamte soziale Umfeld und die privatesten Beziehungen der Betroffenen zu ihren Kontaktpersonen erhält. Das BVerfG hat wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Speicherungen um Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre handelt, wie sie bisher dem deutschen Recht nach Art und Umfang unbekannt waren.

 

2.

Immer wieder berufen sich Befürworter darauf, dass die Daten nicht vom Staat, sondern von privaten Providern gespeichert werden. Dazu hat das BVerfG ebenfalls mehrfach erklärt, dass dieser Umstand für die Verletzung der Privatsphäre gegenstandslos ist, da die Provider verpflichtet sind, die Daten unverzüglich der anfordernden Behörde zur Verfügung zu stellen, ohne selbst die Berechtigung der jeweiligen Anforderung materiell überprüfen zu können.

 

3.

Es wird darauf verwiesen, dass die Anforderung der Daten unter Richtervorbehalt stehe. Dazu liegen unbestrittene empirische Gutachten vor, dass gerade der überlastete Amtsrichter, der die Gegenseite zu seiner Entscheidung nicht anhören kann, dazu neigt, die Argumente der StA zu übernehmen und sich mehr oder weniger als Teil der Exekutive zu empfinden. Ein unmittelbares Rechtsmittel hat er nur bei einer Ablehnung des Antrags der StA zu gewärtigen. Das BVerfG hat darum mehrfach in seinen Entscheidungen inhaltliche Anforderungen an die richterlichen Entscheidungen gestellt, um eine eigenständige Prüfung durch den entscheidenden Richter anzumahnen.

 

4.

Häufig und wiederholt wird die kriminalistische Bedeutung der VDS hervorgehoben. Gerade die Effektivität der VDS wird zunehmend in Frage gestellt. In keinem der bisher geführten Verfahren gegen die VDS hat die Bundesregierung oder die Europäische Kommission ernsthaft belegen können, dass nach Einführung der VDS die einschlägigen Kriminalitätsziffern gesunken oder die Aufklärungsraten der Polizei gestiegen seien. Auch das BKA hat stets nur Einzelfälle vorgetragen, in denen die VDS eine Rolle gespielt habe, ohne jeweils zu belegen, ass die Tat mit ihnen gerichtsfest aufgeklärt worden wäre, oder dass der Täter ohne die Daten nicht anderweitig ermittelt wurde. In gleicher Weise liegt dem US-Repräsentantenhaus ein offizieller Bericht vor, dass bisher kein Fall bekannt geworden sei, in dem durch die VDS ein Delikt des Terrorismus verhindert oder aufgeklärt worden ist.

 

 

Auf die Frage der wenigstens nachträglichen Benachrichtigung des Betroffenen will ich hier nicht eingehen. Es ist allgemein erkennbar, dass die Benachrichtigungspflichten nicht verstärkt, sondern immer weiter aufgeweicht worden sind, obwohl wir dabei über ein Grundrecht nach Art. 19 Abs. 4 GG sprechen.

 

Es bleibt mir nur übrig, mein Bedauern darüber auszudrücken, dass der BMI und die Bundestagsmehrheit es bisher abgelehnt haben, die sog. Quick-Freeze-Lösung wenigstens zu erproben. Es liegt ja ein interner Bericht des bayerischen GStA vor, in dem er die Dauer aufgezeichnet hat, in der die namhaften Provider die TK-Daten aus Abrechnungsgründen durchschnittlich speichern. Würde der jeweilige Bestand im Einzelfall aus einem gegebenen konkreten Anlass eingefroren, stünde er dann zur Verfügung. Die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hatte einen entsprechenden Gesetzentwurf entwickelt und leider erfolglos vorgelegt.

 

Ich hoffe, dass die Bundesregierung in den nun erneut anhängigen Verfahren darauf verzichtet, dieselben Argumente erneut vorzutragen.

 

 

Dr. Dr. h.c. Burkhard Hirsch

Rechtsanwalt

Vizepräsident des Deutschen Bundestages a.D.

Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen a.D.